4. Erfolgswidrige Gewohnheiten einfach entsorgen
Aus der Serie: Warum wir unser Denken begreifen müssen
Meist stehen falsche Vorbilder hinter hartnäckigen erfolgswidrigen Gewohnheiten. Sie lassen sich deshalb nur mit viel Disziplin und Ausdauer entfernen. Oder leichter mit der »Wächtermethode«, sanft und natürlich − wie Judo. > Zur Kurzfassung
Der Weg zum stromlinienförmig angepassten Menschen verlängert sich zusehends. Nach Kleidermode, Kosmetik, Fitness, Zahnprothesen und Transplantationen stehen nun die scheinbar inneren Werte im Rampenlicht. Das Geschäft mit zu ändernden Gewohnheiten boomt.
Allein der Suchbegriff »Gewohnheiten ändern« in Google zeigt über 500.000 Ergebnisse. Mit Anführungszeichen eingeschränkt, sind es immerhin noch etwa 27.000. Geschätzt ergeben sich daraus mindestens 2.000 Anbieter im deutschen Sprachraum.
Diese verwirrende Angebotslage benötigt unbedingt einen Kompass. Doch wie so oft, betrachten notwendige Hinweise weniger Geschriebenes, sondern jenes, was nicht oder nur spärlich publiziert wurde.
Den Angebotsdschungel lichten
So muss nicht jede als schlecht erkannt geglaubte Gewohnheit auch erfolgswidrig sein. Viele von ihnen entstanden als wünschenswerte Anpassungen an den Lebensstil oder der eigenen Attraktivität. Ängstlichkeit zum Beispiel ist auch ein Selbstschutz, der oft aus schlechten Erfahrungen stammt. − Die wirklich schädlichen entwickeln sich meist aus falschen Vorbildern, wie im vorigen Titel beschrieben.
Weiter fehlt durchweg eine Wertung darüber, wie hartnäckig die jeweiligen Gewohnheiten sich wünschenswerten Anpassungen widersetzen. Dazu gibt es bereits eine immer gültige Einsicht ebenfalls aus dem vorigen Titel: Je emotionaler die Gewohnheit entstand, desto beharrlicher sträubt sie sich gegen Änderungen.
So lassen sich leicht veränderliche Gewohnheiten schnell erkennen. Es sind jene des täglichen Lebens wie Krawatte auswählen, frühstücken, Auto fahren, telefonieren und dergleichen mehr. Sie entstanden unbewusst aus wiederholten täglichen Abläufen ziemlich emotionsarm. Jeder neue Gebrauchsgegenstand oder ein Wohnungswechsel führt zu mühelosen Anpassungen.
Aufwendiger zu ändern sind bewusst herbeigeführte Gewohnheiten, wie handwerkliche Fähigkeiten, Fußballgeschicklichkeit, bedienen von EDV-Programmen oder beruflich verwendete Fachkenntnisse. Besonders dann, wenn sie nur mit Mühe und Frust, also recht emotional erlernt werden konnten. Doch auch diese Wechsel gelingen, denn meist entstehen sie aus äußeren Anlässen heraus, sodass Rückfälle schnell bestraft werden.
Damit konnten wir schon mindestens 95 Prozent aller spürbaren Gewohnheiten für eine intensivere »Behandlung« ausschließen. Bleiben nur noch resistente, oft ärgerliche erfolgswidrige Eigenarten. Beispiele dazu finden Sie in den Gewohnheitsfraktionen am Titelende.
Wer solche Gewohnheiten entsorgen will, kann sich im Internet orientieren. Dort scheint deren Wesen neurowissenschaftlich ergründet. Danach bestehen Gewohnheiten aus einer Endlosschleife, die mit einem Reiz beginnt und einer Belohnung endet. Eine hundert Jahre alte Weisheit, die auch mit vorgeschütztem wissenschaftlichem Hintergrund zu oberflächlich bleibt. Außerdem sollen selbstentwickelte Disziplin und Ausdauer nicht reichen. Sie müssen unterstützt werden durch neurologisch ausgefeilte Methoden wie MCII (Mentales kontrastieren mit Implementierungs-Intentionen). Die darauf folgende Prozedur erfordert immer lang anhaltende Selbstdisziplin, oft sogar psychologische Hilfe., was schon beim Lesen deutlich hervortritt.
Alle dargebotenen Methoden verlangen intensives Bewusstwerden der Gewohnheit einschließlich schädlicher Folgen. Daraus entwickeln sie Motivationen und tiefe Vorstellungen vom Leben ohne diese Gewohnheit. Eine notwendige Gedankenarbeit, die fast jeder bereits vor dem Handlungsentschluss, durchlebte. Die darauf folgende Prozedur erfordert immer lang anhaltende Selbstdisziplin oder gar psychologische Hilfe, was schon beim Lesen deutlich hervortritt.
Das Wesen der Gewohnheiten
Ohne einen kleinen Einblick in das, was Gewohnheiten in unseren Gehirnen treiben, lassen sich notwendigen Änderungen selbst nicht einfühlsam durchführen.
So ruft jede Lebenssituation mehrere ähnliche Erinnerungen auf, die wir nacheinander bewusst erkennen. Jede einzelne dieser Erinnerungen enthält neben dem Gedächtnisinhalt auch gespeicherte Emotionen, die unsere Befindlichkeit prägen. Gleichzeitig reagieren alle aufgerufenen Gedächtnisinhalte mit dem situationsbedingten nächsten Handlungsschritt. Daraus ergeben sich drei Möglichkeiten.
1. Mindestens eine aufgerufene Erinnerung enthält stresstreibende Emotionen – Handlung stoppt, wir zweifeln.
2. Eine aufgerufene Erinnerung reagiert stresstreibend mit dem nächsten Handlungsschritt – Handlung stoppt mit Zweifeln.
3. Nur positive Gefühle, kein Stress – Handlung schreitet fort.
Das heißt: Wir folgen immer den im eigenen Gehirn entstehenden guten Gefühlen und meiden möglichst jeden Stress.
Gewohnheiten bestehen danach aus situationsbedingt aufgerufenen ähnlichen Erinnerungen, die sich im Gehirn zu einer Art Gedächtniscluster zusammenfinden und unsere Handlungen mit guten Gefühlen in ihre Richtung lenken. Jede Abweichung beantwortet der Cluster mit Stress.
So ein Gewohnheitscluster bildet sich durch wiederholte gleichförmige Tätigkeiten in bestimmten, meist untereinander ähnlichen Situationen. Oft aber auch durch intensives Denken an Ereignisse oder Personen. Besonders dann, wenn diese Personen gedanklich zu Vorbildern oder gar Idolen aufgestiegen sind. Personengebundene Gewohnheitscluster behaupten sich wesentlich hartnäckiger, weil sie starke Emotionen enthalten und sich oft nicht ohne weiteres aus den auslösenden Ereignissen erkennen lassen.
Tritt jetzt eine vom Gewohnheitscluster erkannte Situation ein, so wird er automatisch als Erinnerungsansammlung aufgerufen. Gleichzeitig löst dieser Cluster ein gutes Gefühl (Emotion) aus, solange Entscheidungen seiner Richtung folgen. Wenn nicht, nervt er mit Stressgefühlen. Ohne Störungen folgen wir bedenkenlos dem guten Gefühl.
Beginnende Gewohnheiten erleben wir bewusst. Nach vielen Wiederholungen bleiben sie im Unterbewusstsein und gestatten unserem Gehirn weitere Gedankenausflüge wie ein Gespräch während der automatischen Autofahrt. – Doch jede Störung katapultiert die augenblicklich aktive Gewohnheit sofort ins Bewusstsein.
So entspricht die Eigenart, anderen immer ins Wort zu fallen, nicht der Unterbrechung selbst, sondern nur dem eingeschliffenen Selbstverständnis, immer selbst sprechen zu müssen. Der dafür verantwortliche Gedächtniscluster erkennt die Störung und erzeugt anschwellenden Unmut, der sich erst mit der Wortübernahme löst.
Die Wächtermethode
Wer sich einer solchen Gewohnheit entledigen will, kann ein natürliches Verfahren nutzen. Nämlich, dem Gewohnheitscluster einen Wunschcluster als Wächter beistellen, der eine andere Entscheidung bei möglichst derselben Lebenssituation provoziert. Ähnlich, wie es Werbung oder politische Meinungsmacher aus allen Medien heraus täglich in unseren Gehirnen veranstalten.
Um diese sogenannte »Wächtermethode« anzuwenden, empfiehlt sich eine intensive gedankliche Auseinandersetzung mit der unerwünschten Gewohnheit. Stellen sie sich möglichst viele Auslösesituationen einschließlich der erwarteten, bereits erlebten oder befürchteten Nachteile vor. Dazu wenn möglich auch gewünschte Handlungen. − Als Erinnerung an dieses Denken installiert sich dabei ein wirksamer Wunschcluster im Gehirn. Oft erfolgte diese gedankliche Auseinandersetzung bereits vor dem Entschluss, die Gewohnheit abzuschaffen.
Wehret den Anfängen – heißt das Motto der »Wächtermethode«. Tatsächlich trifft sie genau zu Beginn der Gewohnheit den neuralgischen Punkt. Der Gewohnheitscluster wurde gerade aufgerufen, seine Schwingungen haben sich noch nicht mit jenen der vorhergehenden Tätigkeit synchronisiert; jetzt ist er noch angreifbar, später kaum noch.
Will jetzt der Gewohnheitscluster seine richtungsweisende Entscheidung einleiten, trifft er auf den Wunschcluster, der von derselben Lebenssituation aufgerufen wurde und natürlich etwas anderes will. Im günstigsten Fall setzt sich er Wunschcluster sofort emotional durch, denn der Gewohnheitscluster brauchte lange keine starken Emotionen mehr, um seine Entscheidungen durchzusetzen. Er lässt sich überrumpelt.
Sollte der Gewohnheitscluster nicht so schnell aufgeben, spüren Sie ein Zweifelgefühl. Der Aktionsfluss stockt und spendiert Zeit zum Denken (Fall 2 der Möglichkeiten-Liste im vorigen Thema).
Wenn Sie sich auf diesen Zweifel konzentrieren, haben Sie jetzt die Wahl. Ausreichend motiviert sind Sie ohnehin. Solange die jetzt bewusste Entscheidung immer zum Wunschcluster hin verläuft, stärken sie ihn weiter und schwächen den Gewohnheitscluster. Und je mehr Sie sich darüber freuen, desto eher wird der lästige Gewohnheitscluster ganz verschwinden. Ganz verschwinden heißt: Sie spüren die Zweifelemotion nicht mehr und folgen automatisch dem Wunschcluster.
Das Zweifelgefühl empfinden wir als somatischen Marker. Es ist fast immer dasselbe Gefühl, wie vor einer unsicheren Entscheidung. Die Literatur beschreibt hier allerdings eine wenig nachvollziehbare Gefühlsskala vom dumpfen Bauchgefühl über kribbelnden Nacken bis hin zu gefühlter Macht oder leuchtender Erkenntnis. Sie sollten es selbst testen.
Allerdings haben viele Zeitgenossen aus gesellschaftlichen Gründen die Zweifelemotion im Gehirn mit der unbewusst angewendeten Wächtermethode bereits unterdrückt. Schließlich will niemand als Zauderer belächelt werden. Schwache Zweifelemotionen spüren sie dann kaum noch.
In diesem Fall muss zuerst die Zweifelemotion selbst sensibilisiert werden. Doch auch euphorische Zustände dominieren gern über wenig ausgeprägte Zweifel. Deshalb gilt es mitunter, die Auslöseereignisse des Wunschclusters mit der aufkommenden Euphorie zu koppeln.
Rückschläge erwidern
Sollten dennoch anfangs Rückschläge auftreten, wiederholen Sie die Installation des Wunschclusters vornehmlich mit jener Ereignisfraktion, die den Rückschlag provozierte. Dazu lässt sich auch der Wunschcluster gedanklich verstärken. Beispielsweise mit ähnlichen beschriebenen Situationen aus dem Internet oder aus bereits gelesener Literatur.
Solche Rückschläge haben auch ihr Gutes, indem sich unerkannte Auslöseereignisse offenbaren.
Doch auch diese Maßnahme kann versagen. Besonders dann, wenn der eigentliche Cluster übergeordnet agiert und keine direkte Verbindung mit der behandelten Gewohnheit aufweist. Dann steht meist ein Vorbildcluster hinter der ungeliebten Gewohnheit. Er kann gleich mehrere Gewohnheiten enthalten wie »anderen oft ins Wort fallen« sowie den Zwang, »Witze zu erzählen« über die oft keiner so lacht wie bei attraktiven Vorbildern erlebt, usw.
Jetzt bleibt nichts anderes, als im persönlichen »Geschichtsbuch« zu blättern, um die tatsächliche Ursache herauszufinden. Meist sind es Vorbilder, seltener Ereignisse. Danach kann der Gegencluster gedanklich mit der gefundenen Ursache neu installiert werden.
Wenn ein Vorbild sich als Ursache herauskristallisiert, lässt es sich gedanklich zerstören, das heißt, die Erinnerung daran mit negativen Aspekten auffüllen. So wie es ein Personalchef praktiziert, der den Bewerber aus dem ersten Blick heraus als ungeeignet empfindet. Er erkennt nur seine Schattenseiten, was unausweichlich in den Bewerbungs-Abfallkorb führt.
Ein attraktives Familienmitglied als Vorbild beispielsweise ließe sich mit folgenden Eigenschaften demontieren: »sprengt jede Gesprächsrunde mit dominantem Auftreten, fällt anderen dauernd ins Wort, lässt keine abweichende Meinung gelten, verlässt sofort den Schauplatz wenn er nicht mehr im Mittelpunkt steht«.
Sollte auch dies nicht fruchten, so hilft vielleicht die erwähnte MRII-Methode. Sie enthält einige Elemente der Wächtermethode, verlangt darüber hinaus jedoch einen ausgiebigen Aktionsplan mit Alternativen nach der Wenn-Dann-Philosophie. Wissenschaftler empfehlen dazu allerdings eine psychologische Betreuung.
Gewohnheitsfraktionen und deren Besonderheiten
Die nachfolgende Liste verschiedener Gewohnheitsfraktionen ordnet Gewohnheiten nach ähnlichen Merkmalen und erläutert besonders behandelbare Eigenschaften.
1. Überbordende äußere oder innere Emotionalität (auch grundlose Angst) nach ärgerlichen Ereignissen wie: beleidigt werden, Widerspruch erfahren, behindert werden, …..
Diese Gewohnheiten beginnen gern mit einem Emotionsstoß der etwa 0,5 Sekunden nach dem Ereignis eintritt, beispielsweise nach einer Beleidigung. Danach ist der akute Schaden kaum noch zu beheben (Point of no Return). Es folgen Denkflachheit, weiter anschwellende Emotionen und später Kopfschmerzen. Der Wächter muss also innerhalb der Karenzzeit von etwa 0,5 Sekunden den Gewohnheitsablauf stoppen.
Denkflachheit entsteht bei überbordenden Emotionen. Im Extremfall beschränkt sich alles Denken auf Flucht oder Angriff.
2. Innere, zum Leichtsinn führende Euphorie nach erhebenden Ereignissen wie: gelobt werden, Erfolg verbuchen, ……
Emotionen schwellen sanfter an, doch nach etwa 5 Sekunden beginnt auch hier die Denkflachheit, sodass der oft erhebliche akute Schaden kaum noch abzuwenden ist.
3. Echte Denkgewohnheiten meist ohne bewusster Belohnung wie: Aversionen oder Affinitäten gegen bestimmte Nahrungsmittel, Schulfächer (Mathematik), Menschentypen, Tätigkeiten, …….
Diese Gewohnheiten stammen meist bewusst von Vorbildern oder Ereignissen, sind sehr emotional, jedoch mit meist nur einem Auslöseereignis. Allerdings werden sie gern verheimlicht oder mit Ausreden geschmückt. Sie sind besonders erfolgswidrig und meist nur von dem Betroffen selbst aufspürbar.
4. Sozial wirksame Gewohnheiten mit wechselnd bewusster Belohnung wie: dauernd zu spät kommen, unordentlich sein, anderen ins Wort fallen, immer recht haben wollen, …..
Diese Gewohnheiten reagieren zwar auf zahlreiche Auslöser, doch ihr Emotionsgehalt ist meist nur flach, sodass ein Wunschcluster häufig schnelle Abhilfe schafft.
5. Schlechte Gewohnheiten mit konstant bewusster Belohnung wie: ungesund und zu viel essen, exzessiv Rauchen, Alkohol trinken, …..
Gewohnheiten mit bewusster Belohnung klammern sich naturgemäß sehr hartnäckig. Hier lohnt es sich, eigenes Verhalten vorher sehr intensiv zu beobachten. Bestenfalls sogar Vorbilder zu finden die sich gedanklich demontieren lassen. Auch Ersatzgewohnheiten können helfen, doch führen sie oft auch vom »Regen in die Traufe«.
6. Apokalyptische Gewohnheiten wie Kampftrinken, Drogenmissbrauch, Selbstmordneigung, ……
Bitte die Wächtermethode hier nur in ganz leichten Fällen anwenden. Besser gleich professionelle Hilfe anfordern. Denn häufig sind Betroffene kaum noch fähig, Motivationen für die eigene Abhilfe zu entwickeln.
Im nächsten Titel lernen Sie eine besonders verbreitete Gewohnheit kennen, deren Folgen den eigenen
Entscheidungshorizont einengt und der Allgemeinheit großen Schaden zufügt.
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Ingried Eidelstedt (Dienstag, 21 Juli 2015)
Danke für diese einfache Methode und den vielen Hinweisen auf Besonderheiten.