Von der Anerkennung
Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen
… können wir niemals genug bekommen. Denn sie führt zu den erhebensten Momenten unseres Daseins. Gleichzeitig vernebelt sie drogengleich unsere Sinne. Deshalb versuchen wir endlos, Anerkennung einzuheimsen und missachten alle dahinter lauernden Gefahren.
Wer bitte sonnt sich nicht gern in der Anerkennung von Freunden oder gar der ganzen Welt. Ein Begriff mit scheinbar kuscheligem Gesicht. Doch er hat es »faustdick hinter den Ohren«. Bereits im 17. Jahrhundert schrieb Blaise Pascal dazu:
„Das ganze Glück der Menschen besteht darin, bei anderen Achtung zu genießen“.
Offenbar hat er heute noch Recht. Anerkennung wirkt wie eine Droge. Eine Droge die uns höchste Genugtuung verspricht, aber auch in tiefste seelische Depressionen stürzen kann. Blaise Pascal wirkte als Philosoph und Mathematiker. Die Programmiersprache Pascal sowie eine physikalische Einheit für den Luftdruck wurden ihm gewidmet.
Anerkennung ist die folgenschwerste soziale Figur in unserem Gehirn. Sie zeichnet verantwortlich für einen großen Teil der Kompetenz aber auch kollektiver Inkompetenz. Dabei ist sie nur eine Emotion, ein Gefühl das uns Größe, Kompetenz und Überlegenheit suggeriert. Kein Wunder also, wenn Menschen die Welt vergessen, wenn sie Anerkennung erhalten.
Aus nackten Erklärungen werden Sie diese Emotion nicht spüren. Aber aus der nachfolgenden Episode schon.
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Tränen der Rührung
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Aus dem Titel - Von der Anerkennung
Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen
Diese Geschichte von Helen p. Mrosla fand ich auf der Webseite »mosaik.homepage.t-online.de/« (Geschichte nicht mehr auffindbar, doch die Web-Seite birgt exzellente Beiträge). Sie hat mich außerordentlich berührt und wird auch Ihnen den emotionalen Zugang zur Anerkennung erleichtern.
Eines Tages bat eine Lehrerin ihre Schüler und Schülerinnen, die Namen aller anderen in der Klasse auf ein Blatt Papier zu schreiben und ein wenig Platz neben den Namen zu lassen. – Dann sagte sie zu ihnen, sie sollten überlegen, was das Netteste ist, das sie über jeden ihrer Klassenkameraden sagen können und das sollten sie neben die Namen schreiben.
Es dauerte die ganze Stunde, bis jeder fertig war und bevor sie den Klassenraum verließen, gaben sie Ihre Blätter der Lehrerin. – Am Wochenende schrieb die Lehrerin jeden Schülernamen auf ein Blatt Papier und daneben die Liste der netten Bemerkungen, die ihre Mitschüler über den Einzelnen aufgeschrieben hatten. Am Montag gab sie jedem Schüler seine oder ihre Liste. Schon nach kurzer Zeit lächelten alle.
„Wirklich?“, hörte man flüstern. „Ich wusste gar nicht, dass ich irgendjemandem was bedeute!“ und „Ich wusste nicht, dass mich andere so mögen“, waren die Kommentare. Niemand erwähnte danach die Listen wieder. – Die Lehrerin wusste nicht, ob die Schüler sie untereinander oder mit ihren Eltern diskutiert hatten, aber das machte nichts aus. Die Übung hatte ihren Zweck erfüllt. Die Schüler waren glücklich mit sich und mit den anderen.
Einige Jahre später war einer der Schüler gestorben und die Lehrerin ging zum Begräbnis dieses Schülers. Die Kirche war überfüllt mit vielen Freunden. Einer nach dem anderen, der den jungen Mann geliebt oder gekannt hatte, ging am Sarg vorbei und erwies ihm die letzte Ehre.
Die Lehrerin ging als letzte und betete vor dem Sarg. Als sie dort stand, sagte einer der Anwesenden, die den Sarg trugen, zu ihr: „Waren Sie Marks Mathelehrerin?“ – Sie nickte: „Ja“. Dann sagte er: „Mark hat sehr oft von Ihnen gesprochen.“
Nach dem Begräbnis waren die meisten von Marks früheren Schulfreunden versammelt. Marks Eltern waren auch da und sie warteten offenbar sehnsüchtig darauf, mit der Lehrerin zu sprechen. „Wir wollen Ihnen etwas zeigen“, sagte der Vater und zog eine Geldbörse aus seiner Tasche. – „Das wurde gefunden, als Mark verunglückt ist. Wir dachten, Sie würden es erkennen.“ Aus der Geldbörse zog er ein stark abgenutztes Blatt, das offensichtlich zusammengeklebt, viele Male gefaltet und auseinandergefaltet worden war. Die Lehrerin wusste ohne hinzusehen, dass dies eines der Blätter war, auf denen die netten Dinge standen, die seine Klassenkameraden über Mark geschrieben hatten. – „Wir möchten Ihnen so sehr dafür danken, dass Sie das gemacht haben“, sagte Marks Mutter. „Wie Sie sehen können, hat Mark das sehr geschätzt.“
Alle früheren Schüler versammelten sich um die Lehrerin. – Charlie lächelte ein bisschen und sagte: „Ich habe meine Liste auch noch. Sie ist in der obersten Schublade in meinem Schreibtisch“. – Die Frau von Heinz sagte: „Heinz bat mich, die Liste in unser Hochzeitsalbum zu kleben.“
„Ich habe meine auch noch“, sagte Monika. „Sie ist in meinem Tagebuch.“
Dann griff Irene, eine andere Mitschülerin, in ihren Taschenkalender und zeigte ihre abgegriffene und ausgefranste Liste den anderen. „Ich trage sie immer bei mir“, sagte Irene und meinte dann:
„Ich glaube, wir haben alle die Listen aufbewahrt.“
Die Lehrerin war so gerührt, dass sie sich setzen musste und weinte. Sie weinte um Mark und für alle seine Freunde, die ihn nie mehr sehen würden.
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Die Herkunft der Anerkennung
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Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen
In unseren ersten Lebensjahren erfuhren wir mit bedingungsloser Zuwendung der Eltern die intensivste Form der Anerkennung. Alternativlos gaben wir sie als Zuneigung zurück. Dazu übernahmen wir Lebensarten der Eltern ebenfalls ohne Wenn und Aber.
Diese sorgenfreien Lebensjahre prägten unsere Erinnerungen, die wir zwar selten bewusst, aber lebenslang unbewusst als starke wohltuende Emotionen spüren, wenn ähnliche Situationen auftauchen. Situationen, in denen uns Anerkennung entgegengebracht wird.
Deshalb suchen wir ein lebenslang nach höchster Anerkennung.
Wer aber nach dem Begriff »Anerkennung« im Internet sucht, findet zunächst nur formale Sachverhalte wie: Anerkennung als Asylberechtigter, als Handwerker, als Arzt, aber auch Anerkennung der öffentlichen Institutionen bis hin zum gesetzgebenden Staat.
Für die so lebensbestimmende Sucht nach Anerkennung scheint sich kaum jemand zu interessieren. Dabei treibt sie dominierend Politiker, Wissenschaftler, Heerführer und natürlich uns alle durch das Leben. Verantwortet damit Kriege und deren Befriedung ebenso wie jede persönliche Krise einschließlich deren Bewältigung. ‒ Wer diese Erkenntnis im Denken und Handeln ignoriert, wird immer weit weg von seinen Wünschen und Träumen leben müssen. Denn er trifft falsche Entscheidungen.
Deshalb erfahren Sie hier ausschließlich persönliche Anerkennung von Mensch zu Mensch oder von Mensch zur Institution. Sie kann einseitig oder auch gegenseitig sein, bedingt aber immer eine Wertschätzung.
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Doppelte Wertschätzung
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Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen
Den Wert eines Menschen zu schätzen und auch noch darüber zu sprechen, gilt als unfein, unsozial oder gar menschenverachtend. Doch jeder von uns fällt dieser verborgenen Wertschätzung tausendfach zum Opfer. Deshalb sollten wir wenigstens dieser Tatsache bewusst ins Auge blicken.
Denn jeder soziale Kontakt mit einem bekannten Mitmenschen führt zu einer Wertschätzung. Das Urteil steht meist schon fest. Es erstreckt sich dann von Griesgram, Langweiler, Gernegroß über Aufschneider, Hochstapler, Hans Guck-in-die-Luft bis hin zu Eigenschaften wie tölpelhaft, brauchbar, erfahren oder gar genial. Niemand kann sich dem entziehen.
Wenn Sie beispielsweise den Griesgram erkannt haben, dann ist das auch eine Anerkennung, aber als Griesgram. – Sind Sie gut gelaunt oder wollen ihn gar um einen Gefallen bitten, dann spielen Sie den Mitfühlenden: „Na, Herr Meyer, welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?“ Damit erhält der Griesgram Gelegenheit, eine seiner griesgrämigen Geschichten zu erzählen. Danach wird er für Ihre Wünsche aufgeschlossen sein. – Wollen Sie ihn jedoch ärgern, so bekommt er einige Witze vom gestrigen Skatabend zu hören.
Doch auch unbekannte Menschen taxieren Sie ganz unwillkürlich. Hier sieht die Skala jedoch anders aus. Angefangen von Bettnässer, Schwachmat, Schönling über Tyrann, Muskelprotz oder Aufreißer erstreckt sich Ihre Einschätzung bis hin zu Attributen wie sympathisch, liebenswert oder gar charismatisch.
Da Ihr Gehirn für eine unbekannte Person noch keine Erinnerungen besitzt, bleiben anfangs nur Wertvorstellungen, die sich aus der Attraktivität herleiten. Selbst wenn Sie diesen Menschen später kennenlernen, wird Ihre Anerkennung nur selten von dem ersten Eindruck abweichen.
Vielleicht kennen Sie die verbreitete Geschichte vom voreingenommenen Personalchef: Der Bewerber tritt ein und jener Personalchef fasst sich schon beim Anblick des Probanden in Gedanken an den Kopf: „Was denn, der will bei uns arbeiten?“ ‒ In der Folge kann der Bewerber machen, was er will. All seine Worte werden zu seinen Ungunsten ausgelegt. Im späteren Interviewbericht erscheinen nur negative Aussagen. Sie steigern sich bis hin zur Ablehnung im Brustton der Überzeugung. Seine tatsächlichen Qualitäten und damit der mögliche Gewinn für das Unternehmen verschwinden »unter dem Tisch«. Der Bewerber hatte keine Chance.
Menschen entpuppen sich erst mit anderen Eigenschaften, wenn man ihnen näherkommt. Erst dann werden sie zu Lügnern, Hochstaplern oder gar Spinnern, verdienen aber mitunter auch Attribute wie mitfühlend, hilfsbereit, geistreich, schlau bis hin zu liebenswert, erfinderisch oder genial.
Sie schätzen also den Wert jedes Menschen gleich doppelt, einmal für seine Äußerlichkeit, seine Attraktivität, und einmal für seine später erkannten Eigenschaften. Damit entstehen dann Kombinationen wie: schlauer Bettnässer, griesgrämiger Muskelprotz, sympathischer Hochstapler und so weiter.
Natürlich sind diese schmalbrüstigen Attribute nicht das Bewertungsende, doch kennzeichnen sie die Art der Persönlichkeitsbilder im Gehirn. Und so manch einer kommt über eine solche Betrachtung seiner Mitmenschen nicht hinaus.
So, wie Sie Menschen beurteilen, werden auch Sie von anderen beurteilt. Den ersten Eindruck können Sie weder verhindern noch vollständig auslöschen. Einzig jene zusätzlichen Attribute lassen sich bei Bedarf aufpolieren.
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Gegenseitige Anerkennung
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Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen
Egal, ob als Freunde, Geschäftspartner oder Liebende. Jede freiwillige Annäherung bedarf der gegenseitigen positiven Anerkennung. Allerdings spielt immer auch die Gefahr mit, dass ein Partner nur eine Scheinanerkennung vortäuscht, um den anderen auszunutzen.
Wenn der Bürgermeister nach der kurzen Ansprache auf dem Feuerwehrfest einzelne Gäste begrüßt, ihnen nach wenigen Worten freundschaftlich auf die Schulter klopft, um dann schnell zum nächsten Gast zu schreiten, gibt er nicht nur Anerkennung, sondern versucht mit dieser öffentlichen Demonstration auch seine öffentliche Anerkennung zu stärken.
Menschen brauchen solche Streicheleinheiten, um ihr Selbstwertgefühl aufzufrischen. Dabei ist es meist egal, ob die Schmuseportionen echt sind oder nur geschmeichelt. Psychologen empfehlen permanentes gegenseitiges Loben, oft mit den Worten: „Nehmen Sie Lob und Wertschätzung an, anstatt sie zurückzuweisen. Seien Sie äußerst großzügig mit Anerkennung zu sich und zu anderen.“ – Doch nehmen sich Menschen auch jede Anerkennung zu Herzen?
Natürlich werden wir eine persönliche Anerkennung nur selten zurückweisen. Doch wie steht es mit der inneren Annahme? Nehmen wir es an, wenn der Chef uns nach einer gelungenen Arbeit öffentlich auf die Schulter klopft und sagt: „Weiter so!“? Wovon hängt es ab, ob sich ein Schüler nach einer der heute üblichen Lobansprachen weiterhin anstrengt oder gar das Gegenteil tut? – Dafür gibt es eine einfache, meist jedoch ignorierte Erkenntnis: Anerkennung nehmen wir nur von den Menschen an, die wir selbst anerkennen. Und zwar auf dem Gebiet, auf dem er die Anerkennung erteilt.
Das bedeutet nicht, dass wir sonst die Anerkennung zurückweisen, doch sie ist uns gleichgültig. Denn nur die angenommene Anerkennung trifft ins Herz, sodass wir darüber nachdenken und oft sogar unser Handeln danach ausrichten.
So brauchen sich Eltern und Lehrer nicht wundern, wenn weder Lob noch Tadel einen Schüler dazu bewegt, seine Hausaufgaben vollständig, pünktlich und gewissenhaft zu erledigen. Sie werden auf diesem Gebiet einfach vom Schüler nicht anerkannt, nicht ernst genommen.
Gerade in der Schulzeit stürmen auf heranwachsende junge Menschen viele unkontrollierbare Eindrücke ein. Eindrücke die oft mit außergewöhnlichen Menschen verbunden sind. Diese Menschen mutieren im Gehirn mitunter zu Vorbildern oder gar zu Idolen. Damit wird es sehr schwer, die tatsächlichen Denkrichtungen von Schülern zu begreifen. Dies gilt natürlich auch für alle anderen Menschen, deren Denken und Tun Sie beeinflussen wollen oder müssen. – Wenn Sie also nicht über die legitime Macht verfügen, Ihre Agenda gegen einen widerstrebenden Schüler durchzusetzen, dann bleiben nur zwei Wege.
1. Selbst die Anerkennung des Schülers gewinnen.
2. Jene Person finden, der die unbedingte Anerkennung des Schülers gehört, um sie für die notwendige Agenda zu gewinnen. Aber dazu müssen Sie über Ihren eigenen Schatten springen, denn es ist gleichzeitig das Eingeständnis eigener Ohnmacht.
Doch gibt es noch ein weiteres Phänomen, das Ihnen in solchen Situationen helfen kann. Menschen und Institutionen wirken dann attraktiv, wenn sie von vielen anderen anerkannt werden. Führende Politiker sind oft Meister darin, ihre Parteifreunde zur Gemeinsamkeit aufzurufen. Damit wollen sie nicht den Streit unterdrücken, sondern ihrer Partei die Fähigkeit erhalten, mit Anerkennung Macht auf andere auszuüben.
Jetzt erkennen Sie auch, weshalb Streit zwischen den Eltern die Machtbasis gegenüber den Kindern untergräbt. Es gilt also nicht nur, offenen Streit zu vermeiden, sondern sich gegenseitig Anerkennung öffentlich auszusprechen. Je größer der Zirkel ist, in dem sich Menschen gegenseitig loben und hervorheben, desto größer wird auch deren Fähigkeit, Macht auf andere auszuüben. Scheuen Sie sich nicht, auch Außenstehende, wie Lehrer, Freunde oder Verwandte, in diesen »Machtkomplott« zum Wohle eines Schülers einzubinden. Es wirkt ungemein, wenn der Lehrer dem Schüler zu verstehen gibt, dass er seine Mutter oder seinen Vater ungeheuer schätzt. Auch umgekehrt verstärkt es den gewünschten Effekt, wenn Eltern mit Hochachtung vom Lehrer sprechen.
Schauspieler, Sänger und Entertainer sind unangefochtene Meister darin, ihren Kollegen öffentlich Anerkennung zu spenden. Sogar dann, wenn sie den Kollegen nicht mögen. Es ist nämlich auch ein Komplott.
Anerkennung geben kann die eigene Machtbasis stärken oder auch schwächen. Stärken immer dann, wenn der Geber ein höheres Anerkennungsniveau innehat als der oder die Anerkennungsnehmer. Nämlich so, wie der von Tisch zu Tisch gehende Bürgermeister beim Feuerwehrball. ‒ Schwächen dann, wenn das Niveau des Gebers niedriger ist als das des Nehmers.
Stellen Sie sich vor, dem Firmenchef eine öffentliche Anerkennung auszusprechen, nachdem Sie eine Gehaltserhöhung ausgehandelt haben. Etwa so: „Ich habe doch gewusst, dass Sie ein toller Kerl sind!“ Wenn Sie Glück haben, wird er dieses Lob mit leicht verzogenen Mundwinkeln ohne Widerspruch über sich ergehen lassen. Doch es wird keine Wirkung haben. Er legt ganz sicher auf Ihre Anerkennung keinen Wert und wird in Zukunft Ihre Nähe meiden, weil er Sie als ungehobelten Schleimer empfindet. Ganz sicher jedoch werden Sie Ihre Fähigkeit, den Chef zu beeinflussen, damit verlieren.
Aber wie stellt man es an, dem Chef doch eine gewinnbringende Anerkennung zu geben? Das funktioniert nur, indem Sie auf Teilgebieten allgemein anerkannten besseren Durchblick vorweisen, wie zum Beispiel als Elektrotechniker in einer Maschinenbaufertigung.
Wenn Sie vom Chef zu einer Problembesprechung gerufen werden, die technischen Details mit ihm durchgehen und er entscheidend zur Lösung beitragen kann. In dem Moment weicht die Spannung aus dem Gespräch und der Chef wird empfänglich für außergewöhnliche Ansprachen.
Sicher wäre es zu plump, jetzt eine Gehaltserhöhung zu fordern, aber eine kleine Anerkennung aus Ihrem Munde verträgt er sicher. Doch dürfen Sie ihn ausschließlich aus Ihrer fachlichen Kompetenz heraus loben. Vielleicht so: „Ich bin erstaunt, wie schnell Sie meinen doch recht tief greifenden fachlichen Ausführungen folgen konnten. Schließlich liegen Ihre Stärken auf anderen Gebieten.“
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Falsche Anerkennung
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Ich hatte die Chance, den Werdegang eines Mädchens bis weit in das Erwachsenenalter hinein mitzuerleben. Sonja war von angenehmem Wesen, durchschnittlich attraktiv mit leichtem Hang zum Übergewicht. Doch Eltern, Verwandte und Bekannte hörte ich immer nur davon sprechen – dass Sonja doch das hübscheste Mädchen der Welt sei – und genau in diesem Wahn wuchs sie auf.
Später dann, als all ihre Freundinnen bereits verheiratet waren, erfuhr ich den Grund für ihre Enthaltsamkeit. Schuld war offensichtlich Udo Jürgens. Den Sänger hatte Sonja bei einer Liveveranstaltung getroffen und einige Worte mit ihm gewechselt. – Danach gab es für Sonja nur noch den Wunsch: „Ich kann nur Udo Jürgens heiraten.“ Und der wollte natürlich nichts von ihr wissen. So blieb Sonja bis heute ohne eine erkennbare männliche Begleitung. Und das zur Verzweiflung ihrer Eltern, die sich ganz sicher über Enkelkinder gefreut hätten; um damit auch den heimlichen Wunsch nach einem Nachfolger für ihre entbehrungsreich aufgebaute selbstständige Existenz erfüllen zu können.
Die eigentliche Schuld trifft natürlich nicht Udo Jürgens oder Sonja. Sondern Eltern, Verwandte und Bekannte, wenn man hier überhaupt von Schuld sprechen darf. Sonja erfuhr jahrelang von vielen Menschen, die sie schätzte und damit auch anerkannte, falsche Anerkennung. Draus entstand ein verzerrtes Selbstbild, das ihr eine Zukunft vorspiegelte, die sie später kaum ansatzweise verwirklichen konnte.
Ob dieser Wunsch nach Zweisamkeit mit Udo Jürgens echt war oder vorgeschoben, kann ich nur ahnen. Offensichtlich bestand aufgrund des falschen Selbstbildes eine tiefe Kluft zwischen dem Wunsch nach einem attraktiven Partner und den wirklichen Chancen, bei solchen Partnern selbst die notwendige Anerkennung zu finden – doch wer gibt einen solchen Riss im Herzen schon zu? Lieber muss ein Bösewicht herhalten.
Hätten ihr die Eltern rechtzeitig den wahren Spiegel vorgehalten und alle noch verbleibenden Chancen offenbart, dann wäre Sonjas Lebensweg sicher glücklicher und vor allem attraktiver verlaufen. Sicher leidet Sonja heute noch darunter, dass sie die Herzenswünsche ihrer Eltern nicht erfüllen konnte.
Ich bin sicher, dass kein einziger der Beteiligten diese Sicht des Dramas zugeben würde. Doch ist dies nur ein schlimmes Schicksal, das durch falsche Schöntuerei seinen Lauf nahm. Wie viele Millionen Mitmenschen teilen wohl ähnliche Schmach?
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Gefährliche Vorbilder
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In frühen Kinderjahren genossen allein die Eltern uneingeschränkte Anerkennung. Schließlich erfüllten Sie fast alle Wünsche. Bereits ihr Anblick durchflutete Thomas mit einem Feuerwerk wohltuender Emotionen. Auch standen seine Eltern immer im gefühlten Mittelpunkt von Besuchergruppen.
Doch dann kam Onkel Erwin anlässlich einer Familienfeier zu Besuch. Onkel Erwin war der heimliche »Hahn im Korb« des Familienklans. Schon zur Begrüßung klopften ihm alle freundlich auf die Schulter. Und über seine Witze lachte ausnahmslos jeder. Offenbar konnte er sich alles erlauben.
Onkel Erwin stand damit intensiver im Mittelpunkt als jemals die Eltern. Kein Wunder, wenn Thomas für ihn enthusiastische Gefühle entwickelte. Damit öffnete er sich vollständig für Onkel Erwin und entschied noch am selben Tag − genauso zu werden wie er.
Schon früh im Leben spüren wir, dass Anerkennung oder gar Zuneigung von anderen Menschen notwendig ist, um eigene Handlungsfreiheiten zu erweitern. Freiheiten wie, anderen ins Wort fallen zu dürfen, mehr Zeit der Eltern zu ergattern usw. Onkel Erwin verkörperte diese Freiheiten wie sonst niemand. Ähnlichkeiten zwischen seinem Verhalten und den gewünschten sozialen Freiheiten weckten bei Thomas entsprechende Gedächtnisinhalte.
Dieses aufregende Erlebnis spiegelte sich gedanklich in seinen Tagträumen sowie in allen ähnlichen Situationen. Und davon gab es zahlreiche, ist doch der Wunsch nach mehr sozialen Freiheiten beinahe allgegenwärtig. Entscheidungen für gefühlt wirksame Handlungsweisen entsprachen fortan dem bei Onkel Erwin beobachteten Verhalten, auch wenn sie nicht unmittelbar erfolgreich abschlossen. Bald spürte Thomas keine Entscheidungen mehr. Er folgte in allen diesbezüglichen Handlungen automatisch dem neuen Vorbild.
So wunderten sich die Eltern über ein anderes Verhalten von Thomas. Er unterbrach ihre Gespräche ständig, um eigene Geschichten zu erzählen. Verlangte, dass sie immer für ihn Zeit hatten, beschwerte sich über seine missmutigen Freunde und »glänzte« mit schlechteren Schulergebnissen. Seine Lehrerin erzählte von ähnlichen Beobachtungen und fügte hinzu, dass Thomas sich in den letzten Wochen zum Außenseiter entwickelt hat, denn seine früheren Freunde meiden ihn. Was bitte war geschehen?
Offenbar bestimmte Onkel Erwin als neues Vorbild das Verhalten von Thomas. Nun war Thomas zwar nett anzusehen, doch im Verhältnis zu seinen Klassenkameraden eher klein und schmächtig geraten. Kein Wunder also, dass größere und stärkere Mitschüler sich die Mittelpunktallüren von Thomas nicht gefallen ließen. Sicher erlebte er selbst verschuldet und von außen nicht zu erkennen, sogar Mobbingelemente, wie in »Grenzenloses Mobbing« zu lesen.
Oft verborgen, bestimmen so zahlreiche Vorbilder unsere Denkweisen, Urteile und Handlungen. Vorbilder, die wir allerdings vorher selbst anerkennen müssen. Dies wiederum ahmen wir anderen nach, sodass beinahe jeder Zeitgenosse unsere Anerkennung einheimst, der von vielen anderen anerkannt wird. Da jedoch die meisten anerkannten Menschen auch äußerlich attraktiv erscheinen, übertragen wir die Anerkennung auch auf attraktive Menschen. Doch dahinter verbergen sich erhebliche Gefahren, wie das nächste Thema zeigt.
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Von Mathematik habe ich keine Ahnung
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Öffentlich anerkannte, attraktiv erscheinende Zeitgenossen geben oft schlechte Vorbilder ab. Besonders Politiker glänzen in dieser Hinsicht. Sie beschimpfen Oppositionskollegen häufig sogar unter der Gürtellinie, sprechen in Halbwahrheiten, kanzeln fragende Abgeordnete ab und lügen oft dann, wenn sie sicher sein können, dass ihnen niemand etwas nachweisen kann. Damit treten Politiker jene Werte mit Füßen, die sie so gern in Oberlehrermanier vor sich hertragen. Werte wie Toleranz, Fairness, Mitleid und ganz besonders die Wahrheit.
Gleichgesinnte freuen sich über deftige Worte. Oppositionell eingestellte Zuhörer ballen ihre Fäuste und hoffen auf eine entsprechende Gegenrede ihres Favoriten. Kein Wunder, wenn landesweit immer weniger argumentiert wird, sondern beschimpft, niedergemacht, mit halben Wahrheiten abgespeist oder gar gewissenlos belogen. Denn Menschen übernehmen die Eigenarten ihrer Favoriten, fühlen sich dabei stark und hoffen selbst auf einen Zipfel geborgter Anerkennung.
Auch in kleinen Kreisen kehren Attraktive Zeitgenossen ihre Stärken hervor, um ihren Anerkennungsrang zu unterstreichen. Doch wenn es dann privater wird, kokettieren sie gern mit ihren scheinbaren Schwächen, um zu zeigen, dass sie »Manns genug sind«, auf Konventionen zu pfeifen und sich übergeordnete Freiheiten herausnehmen können. ‒ Dies allein kann bei jugendlichen Verehrern schon bleibende Schäden anrichten.
Doch oft übertreiben sie und gehen ins Detail. Stellen Sie sich vor, Onkel Erwin (voriges Thema) hätte beifallheischend erwähnt: „Von Mathematik habe ich keine Ahnung.“ Und alle Anwesenden wären zustimmend mit eigenen Mathe-Geschichten in dieses Thema eingetaucht. Wie hätte dies bei Thomas gewirkt?
Ganz sicher bekäme Mathematik in der Schule keine Chance mehr. Lehrer, Eltern und sogar Mitschüler wären über das Versagen von Thomas entsetzt.
Doch Onkel Erwin befände sich damit in guter Gesellschaft. Selbst Arthur Schopenhauer soll diese Ansicht mit den Worten geteilt haben: „Wo Mathematik anfängt, hört das Verstehen auf.“ Namentlich in Deutschland scheint es deshalb eine Ehre zu sein, von Mathematik keine Ahnung zu haben. Selbst ich bekam diesen Spruch anlässlich einer feuchtfröhlichen Auseinandersetzung mit Rechtsanwälten im Tennisclub unter dem Beifall aller um die Ohren geschlagen. Danach war mein Thema mitsamt meiner Hochachtung für Rechtsanwälte vom Tisch, denn Schopenhauer irrte.
Kein Wunder, wenn Mathematik gesellschaftlich nur wenig Ansehen genießt. Obwohl Einsichten in alle anderen Fach- und Wissenschaftsdisziplinen erst durch Denkweisen transparent werden, die fast ausschließlich in Mathematik gepflegt werden. Dies gilt sowohl für Physik als auch für Musik, Rechtswissenschaften, Psychologie usw. Mathematik-Abstinenz kann deshalb nur zu oberflächlichem Denken führen. Keineswegs jedoch zu Interventionsfähigkeiten (Fähigkeit, sich in neue Fachbereiche schnell selbstständig einzuarbeiten) bei Rechtsanwälten.
Im Bundestag saßen zur 16. Wahlperiode 143 (23%) Juristen und nur 20 (3%) Ingenieure. Mathematiker oder Physiker fand ich bei Statista keine. Frau Bundeskanzlerin war sicher nicht aufgeführt. Ingenieure gehören ähnlich Mathematikern zu den Berufen mit hohen Interventionsfähigkeiten, weil sie sich mit mathematischem Denken erkenntnisreich in alle Fachgebiete einarbeiten können.
Aber 3 Prozent Ingenieure schaffen keinen relevanten Beitrag zu erkenntnisreichem Denken und Handeln. Alle anderen Berufshintergründe einschließlich 23 Prozent Juristen sind meiner Erfahrung nach interdisziplinär wenig kompetent. In Deutschland gibt es etwa 223.000 Juristen und etwa 1.660.000 Ingenieure. Wären beide Berufe gleichberechtigt vertreten, müssten heute 900 (140%) Ingenieure als Abgeordnete im Bundestag sitzen. ‒ Da aber der Bundestag nur etwa aus 630 Abgeordneten besteht, ist diese Berechnung unsinnig. Zeigt aber, dass Ingenieure um den Faktor 25 gegenüber Juristen unterrepräsentiert sind. Damit war kollektive Inkompetenz auch im 16. Bundestag vorprogrammiert.
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Essenz und Ausblick
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Aus dem Titel - Von der Anerkennung
Aus der Serie - Warum wir unser Denken begreifen müssen
Anerkennung von anderen führt zu glücksbringenden Emotionen. Deshalb ist sie mit dem Glück auch eng verwandt. Doch gibt es gravierende Unterschiede: Anerkennung benötigt soziale Kontakte und führt nur zum Genussglück, während sich Glück durch Hoffnung und Geborgenheit auch im »stillen Kämmerlein« ausleben lässt.
Allerdings wirkt Anerkennung auch als Genussglück langzeitig, also verschleißarm. Überdies lebt Liebe immer auch von gegenseitiger Anerkennung. Eine Kombination, aus der oft auch kreative und tatkräftige Elemente mit dem Potential zu wachsender Kompetenz entspringen.
Wer jedoch Anerkennung unter falschen Voraussetzungen sucht, gerät schnell in die Abseitsfalle. Besonders dann, wenn schwach attraktive Mitmenschen allgemeines Ansehen in Kreisen mit attraktiven Zeitgenossen suchen. Viele hoffnungsvolle Lebensentwürfe endeten so schon in der Spaßgesellschaft oder gar »unter der Brücke«.
Wer aber Anerkennung erlangt, ohne äußerlich attraktiv zu wirken, kann stolz auf sich sein. Denn er musste sich jeden Zentimeter selbst verdienen. Allerdings darf er eins nicht aus seinem Gewissen kehren, nämlich die Betroffenheit nachdem er einen eigenen Fehler erkannt hat. Selbst Professor Gerald Hüther, Autor des Buches »Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn« schrieb dazu auf Seite 138:
„Damit sich eine ganze Gesellschaft ändern kann, müssen viele einzelne dieses tiefe Gefühl von Betroffenheit empfinden.“
Denn fehlende Betroffenheit führt schnell zu Hochmut. Ein Beispiel dafür ist Adolf Hitler. War er doch körperlich weder schön noch groß noch stark. Doch der Zuspruch vieler, vieler Menschen verlieh ihm ein Charisma, mit dem er das ganze deutsche Volk in den Abgrund stoßen konnte ‒ und auch stieß.
Deshalb sollten wir skeptisch mit allen anerkannten Persönlichkeiten umgehen. Und wenn sie dazu noch attraktiv sind, erwarten Sie besonders wenig Kompetenz und meist weder Toleranz noch Fairness, Mitleid oder Betroffenheit. Bei geringer Attraktivität kann man von außerordentlicher Kompetenz ausgehen, sollte aber soziale Werte dennoch prüfen.
Der nächste Titel setzt sich mit weiteren Erkenntnissen zur kollektiven Inkompetenz aus den sozialen Phänomenen auseinander.
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Hans-J. Schubert (Mittwoch, 03 Juli 2019 11:10)
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