Die letzte PISA-Studie brachte es auf den Punkt. Deutschland hat zwar aufgeholt, doch Chancengleichheit ist immer noch nicht in Sicht. Höchste Zeit für einen tauglicheren Weg, geboren aus der Gehirnforschung und den »Tomaten« von Manfred Spitzer . 

Zurück zur Einführung

PISA – Anstoß zur Chancengleichheit

Erkenntnisfähigkeit entwickeln und weniger büffeln.

Nicht nur für sozial benachteiligte Schüler.

3. Dezember 2013, Ergebnisse der PISA-Studie: „Deutsche Schüler besser als der OECD-Durchschnitt.“ – So frohlockte es aus Radio, Fernsehen, Web- sowie Printmedien. Gleichauf jedoch kritische Stimmen wie: alles nur trainiert, Abstand zur Spitze viel zu groß, Asiaten schinden ihre Kinder oder Chancengleichheit immer noch Fehlanzeige.

Neidvoll betrachten wir PISA-Ergebnisse aus Ostasien. Blicken dabei jedoch auf Länder, die unsere Wohlstandskompetenz erbeuten wollen und natürlich industriell verwertbare Bildung vorantreiben. Länder, in denen Kinder einem hier kaum vorstellbaren Erfolgsdruck ausgesetzt werden. – Wollen wir dies wirklich unserem Nachwuchs antun? Ihm die Jugend verderben, wohl wissend, dass heutige Bildung in fünf, zehn oder zwanzig Jahren kaum noch gefragt sein wird! Schon jetzt fürchten viele Mitarbeiter jenseits des vierzigsten Lebensjahres den beruflichen Abstieg.

Bleibt jene fehlende Chancengleichheit, besonders in Deutschland. Politiker, Forscher, und Schulbehörden laborieren schon jahrzehntelang beinahe erfolglos »daran herum«. Außer dem vielstimmigen Schrei nach mehr Geld sowie besserer Lehrerbildung fiel ihnen kaum nennenswertes ein.

Höchste Zeit für einen tauglicheren Weg. Bereits angestoßen von Manfred Spitzer, dem bekanntesten deutschen Gehirnforscher, mit seinem viel zitierten Satz: „Da die Welt regelhaft ist, brauchen und müssen wir uns nicht jede Einzelheit merken. Hätten Sie jede Tomate, die Ihnen je begegnete, als jene ganz bestimmte Tomate abgespeichert, dann hätten Sie den Kopf voller einzelner Tomaten.“ – Ein wirklich einleuchtendes Plädoyer für sinnvolles Lernen, nachdem wir das Thema systematisch verinnerlicht haben. Konsequent durchdacht, schlummert hier bereits das Fundament eines revolutionären Weges zur Chancengerechtigkeit.

Tomaten kennen wir alle. Anfangs leuchten sie hellrot, schmecken knackig frisch. Nach einigen Tagen dunkeln sie nach, fühlen sich weicher an und schmecken fader. Das reicht, um Tomaten zu erkennen. Alle Gehirne können aus diesen Erfahrungen leicht Erkenntnisse bilden. Erkenntnisse, die lebenslang abrufbar immer gültig bleiben.

Wer jedoch den schnellsten Weg zum Arbeitsplatz finden will, erkennt flink die Grenzen seines Gehirns. Schon drei alternative Routen lassen sich nur ganz geduldig bei unterschiedlichem Verkehr wirklich konsequent austesten. – Abgesehen von Baustellen. Glücklicherweise gibt es heute den Navigator im Auto. Er zeigt rasch den schnellsten Weg, sogar leidlich genau überall hin. – Eine unschätzbar wertvolle Erkenntnisquelle.

Aber wo bitte bleiben Navigatoren für Mathematik, für Sprache, Berufswahl, Partnerwahl, Werbung, Internet, Politik oder Menschenkenntnis? Fehlanzeige! Jeder muss solche Navigatoren »eigenhändig« in seinem Gehirn installieren. Und zwar aus Erfahrungen. – Doch unsere Lebensumgebung wird immer komplexer. Schon heute wären hundert Leben zu kurz, um allein privat alles zu erleben, was für richtiges Entscheiden notwenig ist. Kein Wunder, wenn aktive Erfolgssuche immer mehr zum »Blindekuhspiel« mit unbekanntem Gegner verkommt.

Auch jene hoch gelobte Wissensgesellschaft, die uns lebenslanges Lernen verordnen will, greift zu kurz. Denn gelerntes Wissen veraltet schnell. Es bildet nur selten Erkenntnisse und vagabundiert damit im Gehirn gleich herrenloser Puzzelteilchen. Teilchen, die unsere Gehirne kaum einordnen können und noch seltener wiederfinden, solange Erkenntnisse darüber fehlen. 

Flüchten aus diesem Dilemma heißt jedoch: Erkenntnisse selbst bilden. – Das bedeutet, Erfahrungen gedanklich simulieren. Bewusst durch lösungsorientiertes Nachdenken oder unbewusst mit großer Fehlerrate, bevor wir eine Intuition erleben. Nur bewusst gebildete Erkenntnisse lassen uns leicht, richtig und konsequent denken.

Die Fähigkeit, bewusst zu simulieren, wächst bei Kindern jedoch erst langsam mit dem Schulbesuch. Bis dahin müssen ihre Gehirne darauf warten, möglichst viele zusammenhängende Fakten zu erfahren, um unbewusst simulieren zu können.

Und dies ist bereits der Schlüssel zur Lernschwäche von Kindern aus sozial schwachen Familien. Denn Eltern mit geringem Wortschatz können den kindlichen Gehirnen kaum die notwendigen Erfahrungen mit der Muttersprache vermitteln.

Nachhilfeunterricht mit immer mehr Fakten oder Übungseinheiten hilft nur, wenn aktive Erkenntnisfähigkeit bereits besteht. Meist ist sie jedoch bei lernschwachen Kindern unterentwickelt. Doch lässt sie sich trainieren, behutsam, aber für jeden Schüler bewusst. Und zwar solange, bis die ersten eigenen Erkenntnisse auch Erfolgserlebnisse schenken. Daraus entwickelt fast jedes Gehirn eine Art Perpetuum Mobile, eine energiereiche Motivationsquelle ohne zusätzlichen Energieverbrauch.

Jede neue Erkenntnis schenkt Freude und Genugtuung. Anschließend auch noch Anerkennung in der Schule. – Wer dies spürt und genießen lernt, wird anfällig. Anfällig für eine Sucht nach Erkenntnissen, die viel weiter trägt als jeder Erfolgszwang, nämlich lebenslang. – Diese Sucht war und ist die Kraftquelle aller aus eigenem Antrieb erfolgreichen Menschen.

Lassen wir also lernschwache Kinder nicht im Stich. Sie können wirklich nichts dafür. Geben wir ihnen weniger zu büffeln, dafür mehr lebenslang gültige Erkenntnisse.

Gleiches gilt natürlich für alle Schüler sowie für Erwachsene, denn der Lebenserfolg hängt vornehmlich von der Erkenntnisfähigkeit des Gehirns ab. Diese Fähigkeit erscheint selbst bei Akademikern oft beschädigt. Denn sie verkümmert mit Routine sowie den überreichlich konsumierten medialen Wissenshäppchen. – Vielfach verantwortlich für frühzeitige berufliche Ausmusterung.

Wie Sie Erkenntnisfähigkeit erwerben können, welche Gehirnvorgänge dies ermöglichen, zeigt das Buch »Erfolgs-Sabotage im Gehirn«. 

Hans-J. Schubert

 Einen allgemeinen Kommentar können Sie hinter diesem Link schreiben.